Für alle, die meine anglophile Seite (ich bin immerhin mit einer Engländerin verheiratet) nicht teilen:  Hier erzähle ich Euch ein bisschen auf Deutsch (Zitate aus einem Gespräch mit Alessandro Tardino):

Eine lange Reise – schliesst sich ein Kreis?

Egidius Streiff kehrt mit seinen gut 50 Jahren zu seinen Anfängen zurück: Schumann und hochexpressive Stücke begeistern ihn heute wie vor dreissig Jahren leidenschaftlich. So brachte er damals die originale Violinfassung des Schumannschen Cellokonzerts zur Schweizer Erstaufführung. Später zog es ihn zu noch extrovertierteren Werken wie dem Violinkonzert von Bernd Alois Zimmermann, der phantasy op.47 von Arnold Schönberg oder der Bartok Solo-Sonate – natürlich in der Urfassung, hörbar auf seiner Debutaufnahme „Papa Bach“ (Sie erhielt damals die Höchstauszeichnung für Spiel und Klang, nur der Titel wurde belächelt).

Wie andere Musiker seiner Generation begnügte er sich nicht mit musikalischem Denken, sondern strebte Mehrwert für die Gesellschaft an, wobei wenige international so erfolgreich waren, vor allem in Asien: Die Chuluun Foundation, die er zusammen mit dem Mongolischen Pianisten Sharavtseren Tserenjigmid gründete, zielte auf den zentralasiatischen Kulturaustausch in Zeiten des zerbröckelnden Sowietischen Staatenbundes. „Die Idee war nicht revolutionär, lief aber dennoch gegen den Trend an, alte Freundschaften ersatzlos aufzukünden; wir hingegen wollten diese Freundschaften mit neuen Inhalten am Leben erhalten“ *(Streiff im Gespräch mit Alessandro Tardino)

Zahlreichen Tourneen nach Asien (Japan, Südkorea und v.a. China) führen zum Erfolg – oder manchmal auch nicht: Anlässlich einer skandalös abgesagten Konzertreise mit dem Violinkonzert von Wang Xi-Lin (Streiff ist schon vor Ort und wird mit den Worten: „Who are you, the orchestra is on holiday!“ begrüsst)  trifft Egidius Streiff den Schweizerischen Botschafter in Beijing. Dabei skizziert er die Idee einer kulturellen Begegnung von Musikern aus Nordkorea (DVRK) und Südkorea in der Schweiz mit Musik von Yun Isang, dem in beiden Staaten hochverehrten Koreanischen Komponisten. „Es war für mich offensichtlich, dass man über Dinge sprechen muss, die beide Seiten lieben. Leider wurden wir andauernd von irgendwelchen realpolitischen Spannungen ausgebremst“ .*(s.o.) Immerhin führten die hartnäckigen Bemühungen Streiffs mit der Unterstützung des EDA (Aussenministeriums der Schweiz) unter dem Patronat von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey zu zwei Konzertprojekten: 2005 spielte Streiff mit dem Yun Isang Orchester das Violinkonzert von Othmar Schoeck – wohl erstmals – in Pyongyang. Dabei knüpfte er Kontakte mit Koreanischen Musikern und 2008 reist das Yun Isang Kammerensemble in die Schweiz und erarbeitete mit Schweizer Musikern erstmals ein gemeinsames Programm mit zeitgenössischer Musik. Zehn Jahre später träumt Streiff noch immer von einer Weiterführung dieser Pionierarbeit. „Die Zeit ist nie reif für irgendwelche Projekte. Es sind Menschen, die sie ermöglichen“. *(s.o.)

Streiffs Projekte gründen immer in einer inneren Notwendigkeit: „Als ich erfuhr, dass Adolf Busch – einer der grössten Geiger der Zwischenkriegsjahre und gleichzeitig moralischer Kompass in einem Nationalsozialistisch verseuchten Deutschland – in Riehen bei Basel lebte, begab ich mich auf Spurensuche. Die Diskrepanz zwischen offiziellem Vergessen deas Nestbeschmutzers Busch und persönlich besten Erinnerungen an den Künstler mit „geradem Strich und geradem Gewissen“ machten mir bald klar, dass wir uns an ihn und seine Kunst erinnern mussten, und wo besser als an seinem alten Wohnort Riehen.“ *(s.o.) In Riehen entstanden seither verschiedene Ausstellungs- und Konzertprojekte unter der Ägide von Streiff.

Auch die Gründung des CD-Labels „streiffzug.com“ geht auf einen Zufall zurück: Auf der Suche nach den Magnetbändern der Uraufführung der Violinkonzerte von Béla Bartok und Frank Martin stellt sich heraus, dass diese in Basel nicht mehr existieren. Erst eine dringende Nachfrage in allen Archiven des Schweizer Radio srf brachte eine letzte (!) Kopie im Tessiner Archiv zum Vorschein. Aus der Not, ein interessiertes Label zu finden, gründete Streiff gleich ein Eigenes. Dort erscheinen seither Trouvaillen unvergänglicher Kunst , aber auch seine eigenen Arbeiten.

Zunehmend kehrt Streiff’s Interesse zum reinen Klang zurück. „Ich war immer verrückt nach Klang. Es ist mir rätselhaft, wie ich als absoluter Musiker mir selbst einreden konnte, dass ich „Mehrwert für die Gesellschaft“ erreichen könnte. Heute ist mir das Banalste – der reine Klang – am Wichtigsten. Musik machen, Geige spielen. Spricht jetzt das Alter aus mir?“ *(s.o.)

Dabei wird immer mehr hörbar, dass Streiff’s Suche nach Ausdruck eine einzigartige Qualität hervorbringt: „Bei P.Adalbert Züllig an der Stiftschule Einsiedeln lernte ich Sprechen, bei György Kurtàg lernte ich singen, bei Hansheinz Schneeberger lernte ich Geige spielen.“ *(s.o.) Heute begeistern seine ausdruckvollen Interpretationen im Konzert wie in Aufnahmen: Seine neuesten solistischen Arbeiten sind dokumentiert in einer CD mit Werken von Viktor Kalabis (streiffzug SC1702, 2019), einer Aufnahme der Sonate op.72 („AFFE SCHAF“) von Max Reger als Teil der preisgekrönten DVD „Maximum Reger“ (BBC „DVD of the year 2018), sowie der posthumen Uraufführung und Ersteinspielung von Isang Yuns Violinsonate (capriccio C5364, 2019).

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